Studieren mit dem Smartphone: Was steckt hinter MOOC?

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Bildung auf Universitätsniveau ohne Numerus clausus, Semestergebühren und Anwesenheitspflicht? Ein Laptop, Smartphone oder Tablet mit Internetverbindung und die Anmeldung bei einer MOOC-Plattform machen's möglich. Die sogenannten Massive Open Online Courses erlauben Studieren auch neben dem Job, wann und wo immer Ihr wollt.

Einige Wissenschaftler der Princeton University und ein Mitarbeiter von Facebook lieferten sich zu Beginn des Jahres einen Schlagabtausch. Forscher der amerikanischen Eliteuniversität hatten in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung das Ende des sozialen Netzwerks vorhergesagt. Facebook verliere in den kommenden fünf Jahren bis zu 80 Prozent seiner Mitglieder, so die Einschätzung. Ein Datenexperte von Facebook rächte sich. Er drehte den Spieß kurzerhand um: Nach seinen Berechnungen stehe Princeton bereits 2021 ohne Studenten da. Auch wenn diese Prognose nicht ganz ernst zu nehmen ist, eine Entwicklung könnte die Universitäten vielleicht wirklich bald verändern.

Die Rede ist von MOOCs. Die sogenannte Massive Open Online Courses erfreuen sich großer Beliebtheit. Teilnehmer müssen nicht an den Campus kommen. Sie können ganz flexibel online am Computer, am Smartphone oder Tablet lernen – wo und wann es ihnen am besten passt. MOOCs schöpfen die Möglichkeiten der Vernetzung zur Wissensvermittlung  aus und erlauben so ganz neue Formen des Lehrens und Lernens.

Das begeistert nicht nur wissbegierige Teilzeitstudierende, sondern auch viele Universitätsdozenten. Frank Hoffmann und Michael Sartor vom Fachbereich Chemie der Universität Hamburg beispielsweise haben zusammen mit der deutschen Open-Course-Plattform iversity die Chance ergriffen und ihren eigenen MOOC verwirklicht. Der erste Teil ihres Kurses mit dem Titel "Faszination Kristalle und Symmetrie" ist vor drei Wochen gestartet. Bereits mehr als 10.000 Teilnehmer haben sich dafür eingeschrieben. Das große Interesse hat die beiden Chemiker auch dazu bewogen, den Kurs statt auf Deutsch auf Englisch zu halten.

Gleichzeitig bestehen aber auch Ängste, dass die MOOCs nicht für moderne und bessere Bildung genutzt werden, sondern ausschließlich dazu dienen, finanzielle Kürzungen zu legitimieren. So stellte ausgerechnet ein Princeton-Professor im September 2013 sein MOOC mit dem Titel "Introduction to Sociology" ein. Seine Befürchtung: Die Politik könnte die kostenlosen Online-Kurse als Argument für Einsparungen in der Lehre verwenden.

Man kennt sich aus Videos

Anfang des Jahres in Berlin-Wedding. Es herrscht eine konzentrierte Stille, nur das leise Kratzen von Kugelschreibern auf Papier ist zu hören. Hin und wieder ein Hüsteln. Der Raum ist spartanisch möbliert. An Tischreihen verteilt sitzen vier Männer und eine Frau im Alter von Mitte zwanzig bis Anfang vierzig. Sie alle haben ihr Studium bereits hinter sich. Dennoch sitzen sie hier und legen eine Uni-Klausur im Fach Marketing ab. Gleichzeitig absolvieren Kursteilnehmer in Lübeck, Düsseldorf, München und Frankfurt am Main dieselbe Prüfung. Es ist ihr erstes Aufeinandertreffen in diesem Kurs – selbst den Dozenten kennen sie nur aus kurzen Videoclips.

Die Studenten im Raum sind Teilnehmer des iversity-MOOCs "Grundlagen des Marketings". Im Oktober 2013 begannen die ersten sechs Kurse des Start-ups aus Bernau bei Berlin. Es ist die erste Abschlussklausur, die nun geschrieben wird. Die Monate zuvor waren für die meisten Beteiligten Neuland, für das Gros der Studierenden, für die Dozenten der Online-Kurse sowie für das junge Team von iversity.

E-Learning an sich ist längst etabliert. Zahlreiche Apps wie Segelschein Pro (iTunes) und Mathe-Abitur Vorbereitung (iTunes) helfen inzwischen beim Lernen vor wichtigen Prüfungen. Portale wie Rosetta Stone und Babbel bieten bereits seit Jahren Online-Sprachkurse an. Und selbst Vorlesungen konnten Interessierte schon seit Längerem online verfolgen. In Apples Mediathek iTunes U beispielsweise stellen Universitäten und Hochschulen seit 2007 Videoaufnahmen von Vorlesungen und Unterrichtsmaterialien frei zur Verfügung. Im Vergleich zu den genannten E-Learning-Angeboten gehen MOOCs aber noch einen Schritt weiter.

Portionierte Lerninhalte vereinfachen den Unterricht

Die Lehrinhalte der MOOCs werden über Videos vermittelt, die wiederum eigens für den Online-Kurs konzipiert werden. Sie sind in der Regel eher kurz und in Kapitel eingeteilt. "Dadurch konnte man anschließend erst einmal rekapitulieren, ob man auch alles verstanden hat, bevor es weitergeht und man den Faden verliert", berichtet die MOOC-Teilnehmerin Maxi Cieszynski. Sie hat im Oktober 2013 als eine der Ersten die iversity-Kurse "Grundlagen des Marketings" und "Einführung in die Betriebswirtschaftslehre" belegt.

Zusätzlich zu den Videos stellen die Dozenten Unterrichtsmaterialien, weiterführende Links und kleine Quiz zur Verfügung. Diese sollen den Studierenden dabei helfen, zu überprüfen, ob sie bislang alles verstanden haben. Auch Aufgabenstellungen gehören dazu. So sollten die Teilnehmer des MOOC "The Future of Storytelling" unter anderem Videos von sich produzieren, in denen sie von ihren Inspirationen für ihre Geschichten erzählen.

Ähnlich wie es an Hochschulen Seminare, Vorlesungen und Übungen gibt, existieren auch unterschiedliche Formen von MOOCs. Während sich der xMOOC "Grundlagen des Marketings" an herkömmlichen Hochschulkursen orientiert und auf individuelles Lernen setzt, verfolgt der cMOOC "The Future of Storytelling" einen konnektivistischen Ansatz: Das Lernen erfolgt mit und über die digitale Vernetzung eines Kurses. Im Blended MOOC wiederum wird der Online-Kurs durch Präsenzveranstaltungen und persönliche Fragestunden ergänzt.

Der große Durchbruch der kostenlosen Online-Kurse kam 2012: In den USA gründete Sebastian Thrun zusammen mit zwei Partnern die MOOC-Plattform Udacity, kurze Zeit später gingen die ebenfalls amerikanischen Konkurrenten Coursera und edX online. Mit iversity folgte 2013 ein Start-up aus Deutschland, das in der Presse schnell als europäische Konkurrenz zu Coursera gehandelt wurde. Im Gegensatz zu den großen amerikanischen MOOC-Anbietern gibt es hier nun auch Online-Kurse auf Deutsch und sogar Russisch.

Das Angebot von iversity ist vielseitig. Neben einführenden Kursen, wie dem Mathe-MOOC "Mathematisch denken!" finden sich auch Video-Seminare zu Spezialthemen wie Social Entrepreneurship, Monte Carlo Methods in Finance und Gamification Design. Während bei einigen Kursen Fachwissen erforderlich ist, sind andere wie "The Future of Storytelling" auch für Neulinge geeignet und interdisziplinär aufgebaut.

Grenzenloses Lernen erfordert Selbstdisziplin

Die Flexibilisierung der Studienzeiten ist ein großer Vorteil von E-Learning im Allgemeinen und MOOCs im Speziellen. Ob im Café, in der Bahn oder auf dem Sofa: Die einzelnen Kapitel lassen sich auf diese Weise zeitlich besser dazwischenschieben, gerade wenn man berufstätig ist. Bei MOOCs besteht aber auch die Gefahr, dass die Flexibilität zu Inkonsequenz verleitet. Die Abbrecherquote liegt Zeit Online zufolge bei bis zu 97 Prozent. Einen MOOC bis zum Ende durchzuhalten, scheint wesentlich stärker mit dem eigenen Antrieb verbunden als bei einem Kurs mit Präsenzpflicht.

Die iversity-Pionierin Cieszynski hat bis zum Ende durchgehalten. Statt an der angebotenen Präsenzklausur teilzunehmen, hat sie die Prüfungen online abgelegt. Dadurch erhält sie zwar keine sogenannten ECTS-Punkte (European Credit Transfer System), also die Leistungspunkte, die von europäischen Hochschulen angerechnet werden können. Aber um Scheine ging es ihr auch nicht. "Die MOOCs ermöglichen mir, Zusatzqualifikationen einzuholen, die ich während meiner Studienzeit nicht erworben habe", erklärt Cieszynski. Außerdem habe ihr schon kurz nach dem Studium der Input von neuem Wissen gefehlt. "Die Motivation, regelmäßig etwas zu machen, ist höher, wenn man an einem Kurs teilnimmt, als wenn man ein Buch liest", ist sie überzeugt. "Allerdings gehen die Kurse sehr schnell ins Detail. Wer nicht mitkommt oder nacharbeiten mag, der ist relativ schnell raus."

Die Gefahr bestand bei "The Future of Storytelling" nicht. Die Macher haben den Kurs so konzipiert, dass sich die Teilnehmer auch einzelne Kapitel herauspicken konnten. Das Thema fand sehr schnell viele Anhänger. Mit mehr als 90.000 Teilnehmern gehört der Kurs zu iversitys beliebtesten MOOCs. "Am Anfang dachten wir: Wenn wir 2.000 Leute gewinnen könnten, von denen dann 100 mitmachen, das wäre schon super", erinnert sich Storytelling-Dozentin Christina Maria Schollerer.

Die Teilnehmer des Kurses kommen aus der ganzen Welt – vom Videospieldesigner aus New York bis zur Hausfrau auf den Philippinen. "Da fragt man sich schon, ob man allen gerecht werden kann", sagt Schollerer. Das Feedback fiel aber bislang mehr als positiv aus. Kursteilnehmer Yannis Vatis aus Peking lobte den MOOC auf seinem Blog: "Dieser Kurs ist ein Paradebeispiel dafür, wie Online-Bildung aussehen sollte."

Unter dem Motto "Study Anywhere" hat iversity aktuell sogar ein Programm auf die Beine gestellt, dass verdeutlichen soll, Studieren ist mit MOOCs überall möglich. Einem Kursteilnehmer beziehungsweise einer Kursteilnehmerin wird im Rahmen eines Stipendiums ein dreimonatiger Studienaufenthalt an einem Ort seiner oder ihrer Wahl ermöglicht.

Wer weiterkommen will, muss Punkte sammeln

Die Möglichkeit, anerkannte Studienleistungen mit MOOCs zu erbringen, ist bislang noch eine Baustelle. Zu einigen der Kurse bietet iversity gegen eine Gebühr Abschlussexamen an, bei denen die Studierenden ECTS-Punkte sammeln können. Manche teilen alternativ Zertifikate aus, wenn die angeforderten Leistungen während des MOOCs erbracht wurden. In den USA ist die Anerkennung von online erbrachten Leistungen gänzlich unsicher und eine individuelle Entscheidung der einzelnen Universitäten. Aber auch in Europa gibt es Verbesserungsbedarf.

Noch müssen die Teilnehmer, wollen sie ECTS-Punkte sammeln, persönlich zu den Prüfungen erscheinen. Diese finden im Prüfungszeitraum zwar an mehreren Orten statt. Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass auch Teilnehmer aus anderen Ländern zu diesen Klausuren anreisen. Wer nicht an einer Präsenzprüfung teilnehmen kann, erhält stattdessen ein Teilnahmezertifikat mit dem Hinweis, dass die Identität des Nutzers nicht eindeutig gesichert ist. Wie die Geschäftsführung von iversity versichert, arbeite man daran, die Prüfungen künftig auch in anderen Ländern anzubieten.

Für die erfolgreiche Teilnahme am MOOC "The Future of Storytelling2 hatten die Veranstalter anfangs gar nicht vorgesehen, den Studierenden Zertifikate auszustellen. "Dadurch, dass wir ein kreativer Bereich sind, glauben wir nicht unbedingt an pure Wissensabfrage", erklärt Schollerer. "Unser Ziel war es, Menschen zusammenzubringen und wirklich für ein Thema zu begeistern." Mittlerweile gibt es aber einen Nachweis für Teilnehmer, die mehr als 80 Prozent des Kurses absolviert haben.

Die Hürden: Zeit und Geld

Ein anderes Problem neben der Anerkennung der Leistungen stellen die hohen Produktionskosten eines gut konzipierten MOOCs dar. Mit 25.000 Euro Fördermitteln ist man total unterfinanziert", sagt die Dozentin Schollerer. "Das ging nur, weil meine Fachhochschule mich parallel freigestellt hat." Auch die Hamburger Chemiker Hoffmann und Sartor haben ihren Online-Kurs mit einem Preisgeld finanziert, das sie bei einem MOOC-Wettbewerb vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gewonnen haben. Der technische und zeitliche Aufwand, die Lehrvideos zu konzipieren und zu erstellen, ist enorm. Das Zehnfache sei eigentlich nötig, wenn man die Teilnehmer nebenbei noch ausreichend betreuen wolle, sagt Schollerer. Spezielle Fachgebiete wie das ihre könnten sich das auf Dauer nicht leisten, ist die junge Kommunikationswissenschaftlerin der Fachhochschule Potsdam überzeugt. "The Future of Storytelling" ist kein Thema, das ich jedes Jahr wiederholen kann, da sich gerade im Bereich Digitales jedes Jahr etwas ändert. Da stellt sich der Universität schon die Frage: Lohnt sich das, solch einen Kurs herzustellen?", fügt sie hinzu.

Bislang werden MOOC-Projekte jedoch nicht breit gefördert und die Online-Kurse sind für die Universitäten selbst nicht besonders attraktiv, sondern eher ein Minusgeschäft, wie Claudia Bremer der Universität Frankfurt im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt resümiert. Es wird vermutlich noch eine Weile dauern, bis sich die Politik dazu entschließt, die neuen digitalen Lernformen nicht nur zu begrüßen, sondern auch intensiv finanziell zu unterstützen. Vielleicht werden auch die Universitäten darin aktiv, ganz neue Finanzierungsformen zu finden. Denn Vorteile bieten ihnen MOOCs in einiger Hinsicht.

Bernd Huber, Präsident der Ludwig-Maximilian-Universität München, blickt positiv in die Zukunft: "Diese Entwicklung ist für Universitäten eigentlich sehr attraktiv, weil sie dann nicht mehr in jedem, zum Teil hochspezialisierten Bereich eine eigene Präsenzlehre anbieten müssen. Man kann sich auf die eigenen, besonderen Stärken konzentrieren", sagte Huber im Interview mit heise.de.

Reine Lernfächer und Einführungsveranstaltungen ließen sich zum Beispiel recht einfach durch Online-Kurse ersetzen. "MOOCs bieten eine gute Chance, die Kompetenzen und auch die vorhandenen Dozenten anders und besser einzusetzen und die Lehre in überlaufenen Fachgebieten wieder persönlicher zu gestalten", so die Kommunikationswissenschaftlerin Schollerer. Die Hoffnung der Hochschullehrer liegt also darin, mit MOOCs die Qualität der Lehre insgesamt zu verbessern. Die Sorge wäre, dass Unsiversitäten den Fokus darauf legen, Personalkosten einzusparen.

MOOC-Testerin Maxi Cieszynski hat das Prinzip jedenfalls überzeugt. Sie plant, weitere MOOCs zu verfolgen. Nur online lernen, das wäre nichts für sie. "Gerade beim Sprachenlernen, wo es ja um Aussprache geht, möchte ich lieber den direkten Austausch im Kurs", so Cieszynski. Ein Ersatz für Hochschulen sind MOOCs sicher nicht, eine Bereicherung aber allemal. Vor allem für Berufstätige, die eine kostengünstige wie qualitativ gute Fortbildungsmöglichkeit suchen, sind die Online-Kurse interessant. Gut konzipiert, machen MOOCs vor allem eines: Lust auf mehr Bildung. Und das hat noch niemandem geschadet.

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